Libusě Monikowá • To be or not to be
Aus der Frankfurter Rundschau (Dezember 1995)
Was die Bauten und die Ausstattung betrifft, ist der Film ein Desaster. Ich habe selten stümperhaftere Kulissen gesehen als die Straße von «Warschau im August 1939», mit den kindlich gepinselten Ladenschildern (Lubinski, Kubinski, Lominski, Rozanski und Poznanski ...), auf der plötzlich mitten im Frieden Adolf Hitler steht. Allgemeine Aufregung, erschrockene Gesichter, heruntergezogene Ladenrollos. Schnitt.
Das Hauptquartier der Gestapo in Berlin. Wilhelm Kunze! Ein Junge wird hereingeholt und mit einem «niedlichen kleinen Panzer» bestochen, seine Eltern zu denunzieren. Er erzählt bereitwillig einen Witz über Hitler, den er von seinem Vater gehört hat; die Gestapo kennt ihn schon. Dieser Witz wiederholt sich später, wie alles im Film; zunächst am häufigsten und penetrantesten der Gruß „Heil Hitler!”, bis der Führer mit dem Spruch erscheint: „Ich heile mich selbst!”
„Halt!”, ein Schwenk auf einen Mann in Zivil. „Das steht nicht im Buch! Und was steht im Buch?” „Nichts.” „Dann sagen Sie nichts!” – Wir sind im Theater. Eine Schauspielergruppe probt in Warschau im August 1939 die Posse «Gestapo», als Abwechslung zum obligatorischen «Hamlet». Der gekränkte Schauspieler, dem vom Regisseur eine zu geringe Überzeugungskraft bescheinigt wird, entschließt sich, auf die Straße zu gehen, um seine Ausstrahlung als Hitler auf die Passanten von Warschau zu demonstrieren. Daher der Auflauf, die verblüfften Gesichter, die geschlossenen Läden; bis sich ein kleines Mädchen durch die Masse nach vorne wagt: „Darf ich um ein Autogramm bitten, Herr Bronski?”
Diese Einleitung macht den wahnsinnigen Witz und das dramaturgische Prinzip des Films deutlich: Theater und Realität wechseln ständig, die Grenze ist fließend. Die «reale» Straße besteht aus Pappkulissen, das realste ist das Interieur des Theaters. Während der Hitler im Stück den Mund halten soll, wird eine Rede des echten auf der Bühne im Radio übertragen; später trifft er als Besucher im gleichen Gebäude bei einem Galakonzert ein. Da ist die Posse bereits abgesetzt und im Theater sitzen echte (und falsche) Gestapoleute.
Im amerikanischen Original heißt es bei Bronskis Auftritt: „Heil myself!”; die Übersetzung „Ich heile mich selbst.” ist einer der seltenen Fälle, wo die deutsche Synchronisierung einen semantischen Gewinn bedeutet; Lubitsch kam aus Berlin.
Der Film handelt von Schauspielern und von ihrer Eitelkeit.
Die Eitelkeit, personifiziert vor allem durch den Star der Truppe, Josef Tura, ist der eigentliche Motor der Handlung und Quell aller Verwicklungen. Eifersüchtig auf alles, das ihm seinen Rang auf der Bühne streitig machen könnte, vor allem auf seine Frau Maria, als Konkurrent und Ehemann, plagt sich Tura mit Selbstzweifeln, besonders seit ein junger Offizier regelmäßig zu Beginn seines Hamlet-Monologs den Zuschauerraum zu verlassen pflegt. Tura ahnt nicht, dass sein Satz „To be or not to be” ein vereinbartes Zeichen zwischen den beiden ist, weil dann, wie seine Frau dem Bewunderer Leutnant Sobinski bedeutet, ihr Mann länger auf der Bühne beschäftigt ist.
Mitten in einem dieser Treffen kommt die Nachricht: die Deutschen haben Polen überfallen. Die Schauspieler sind jetzt arbeitslos; auch «Hamlet» scheint die Okkupanten zu provozieren.
Die Theaterleute kommen unverhofft zum Einsatz, als ein Nazispion, im Besitz einer Liste der Warschauer Widerstandskämpfer, ausgeschaltet werden soll. Tura lässt als falscher SS-Gruppenführer Ehrhardt den Spion Siletsky ins Gestapo-Hauptquartier bestellen, das in Eile in den Theaterräumen eingerichtet wird – wobei man den besonderen Charme auskosten kann, dass mitten im von Deutschen okkupierten Warschau auf dem Gebäude des «Teatr Polski» die Tafel «Gestapo Headquarters» hängt; der «echte» Siletsky scheint sich daran nicht zu stoßen. Als Tura droht, er würde sich selbst heute an die Wand spielen, wird er von seinen Kollegen gewarnt: „Tu es nicht, Tura, bitte bleib auf dem Boden!” – „Da legt man Polens Schicksal in die Hände eines Schmierenkomödianten”, seufzt der Regisseur.
Durch seinen Eifersuchtsausbruch, bei dem er aus der Rolle fällt, gefährdet Tura beinah die ganze Aktion. Als dann in den Nebenräumen Schüsse fallen, ist er wieder voll im Spiel und mit dem Ausruf „Lang lebe Polen!” fasst er sich an den nicht getroffenen Rücken und krümmt sich impressiv in Phantom-Theater-Schmerzen.
Vom Zuschauerraum aus sehen die Schauspieler in SS-Uniformen zu, wie der reale Gestapomann in Zivil auf der Bühne erschossen wird. Hinter ihm der Pilot mit dem Revolver in der Hand – ein Bühnendrama.
Als sich später Tura, diesmal als Professor Siletsky verkleidet, mit dem wirklichen Gruppenführer Ehrhardt trifft, erkennt er die Sätze wieder, die er vorher, als der falsche Ehrhardt, extemporiert hat. Das Theater nimmt die Realität vorweg; die «echten» Figuren scheinen nur zu wiederholen, was die schnelleren und innovativeren Schauspieler, ans Improvisieren gewöhnt, bereits gesagt haben. Mitunter sind es ungeheuere Sätze: „Es ist eine Wohltat, endlich mal wieder die Luft der Gestapo zu atmen.” „Sagen Sie mal, ist Berchtesgaden wirklich so prachtvoll...?”
Am Ende, nach allen Verwicklungen und halsbrecherischen Einlagen, als die Schauspieler sicher in England gelandet sind, erfüllt sich Josef Turas Traum, in Shakespeares Heimat den Hamlet zu spielen. Bei seinem Monolog steht ein weiterer schneidiger Offizier auf, diesmal ein britischer, und Tura auf der Bühne und Leutnant Subinski im Zuschauerraum sehen ihm konsterniert nach.
Die Atmosphäre dieses «dance macabre» wird durch düstere Schwarzweißaufnahmen eines «film noir» betont. Darüber leuchtet der Text, die irrwitzigen Dialoge und das Tempo der Handlung. Die Geistesgegenwart der Schauspieler, die um ihr Leben spielen.
Als würde die schwerfällige Gestapo auf ihre Vorgaben warten:
„Also man nennt mich Konzentrationslager-Ehrhardt, ha ha!”, wiederholt entzückt der echte SS-Gruppenführer. „Ich habe doch gewusst, dass Sie so reagieren werden”, freut sich Tura als falscher Siletsky.
Tura freut sich allerdings über die Bestätigung des Gruppenführers zu früh. Als er ihm die immer gleiche Frage stellt: „Sie kennen sicher den hervorragenden Schauspieler Josef Tura?”, bescheinigt ihm der leutselige Gestapomann: „Ja, den habe ich früher mal auf der Bühne gesehen... Was der mit Shakespeare gemacht hat, das machen wir heute mit Polen.”
Spätestens bei diesem Satz verließen empörte Zuschauer bei den ersten Vorführungen scharenweise die Kinos. Zeitzeugen berichteten von gespenstischen Veranstaltungen. Lubitsch hatte den Film in knapp zwei Monaten gedreht, Ende 1941; er konnte sich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen: Während der Dreharbeiten wurde Pearl Harbor von den Japanern angegriffen, und Deutschland und Italien haben den USA den Krieg erklärt. Kurz vor der Premiere, Anfang 1942, kam die weibliche Hauptdarstellerin Carole Lombard bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. – In der ersten Szene lässt Lubitsch sie auf die Bühne treten, in einem seidenen Abendkleid mit Pelzbesatz, mitten unter die SS-Schergen: „Wie gefällt Ihnen mein Kleid?” „Prächtig, prächtig. Sagen Sie, dieses Kleid tragen Sie doch nicht im Konzentrationslager?” „Warum denn nicht? Denken Sie mal an den gewaltigen Effekt: Ich werde im Dunkeln gepeitscht. Ein Aufschrei, plötzlich geht das Licht an, und das Publikum sieht mich auf dem Boden liegen, in diesem herrlichen Kleid!” – „Das würde einen Lacher geben,” kommentiert ihr Kollege Greenberg.
Der Film wurde die größte Katastrophe in Lubitschs Laufbahn. Die Kritiken waren vernichtend: absurde Verharmlosung Hitlers und der Nazis; ein deutscher Emigrant macht sich über das Leid der Menschen im okkupierten Polen lustig. Noch die wohlwollendsten Kritiker waren der Meinung, Lubitsch hätte einen falschen Film zur falschen Zeit gedreht.
Die Verzweiflung, die in den Witzen lag, weit entfernt vom früheren eleganten Stil des Regisseurs, dem bewährten «Lubitsch-Touch», die Drastik, adäquat dem Thema, konnte mitten im Krieg nicht verstanden werden.
Der Film ist, neben vielem anderem, eine Hommage an die Schauspieler. „Denn Schauspieler sind der Spiegel und die abgekürzte Chronik der Zeit.”
Das wird durch das Schauspielerpaar Greenberg / Bronski verdeutlicht. Der glücklose Hitler-Darsteller Bronski und sein Freund Greenberg, ein verhinderter Shylock, zwei Chargen („Im ersten Akt einen Spieß tragen und im zweiten Akt auch, und im letzten den dicken Rawitsch von der Bühne schleppen.”) kommentieren das Geschehen, auf der Bühne und in der Wirklichkeit. (Später hat Tom Stoppard in seinem Stück «Rosencrantz und Guildenstern are dead» dieses Prinzip ausgeführt.)
Bronskis «Charisma» als Hitler liegt in seiner Statik und Stumpfheit: er steht da, ein Mann mit einem kleinen Schnurrbart. (Das ist doch Hitler auch!); der abgeschmetterte Kleinkünstler, dessen Talent nicht anerkannt wurde. Am Ende landet er mit dem Fallschirm in Schottland, vor die Füße zweier Bauern, die sich ansehen: „Zuerst Hess und jetzt er selbst!”
Kein Kalauer wird ausgelassen, keine Situationskomik bleibt ungenützt, weil, wie der Jude Greenberg, weiß auch der Jude Lubitsch: Einen Lacher soll man nie verachten.
Kritiker fanden den Film abgeschmackt, drastisch, zynisch. Kunst hat mit gutem Geschmack und «political correctness» nichts zu tun. Der Vorwurf des Zynismus trifft jedoch nicht zu.
Der Statist Greenberg bekommt endlich Gelegenheit, die Rolle seines Lebens, den Shylock, zu spielen („Als Shakespeare die schrieb, muss er mich vor Augen gehabt haben!”). Aber nicht auf der Bühne, sondern vor der «echten» SS im Theaterfoyer, um die Hitler-Eskorte abzulenken und zu verwirren. Die Frage «Sein oder nicht Sein» ist Wirklichkeit geworden. Greenberg tritt unerwartet aus der Damentoilette, ein Jude unter die SS, während aus dem Saal „Deutschland, Deutschland über alles!” ertönt und nachher das Horst-Wessel-Lied. Das Ganze ist sehr unwahrscheinlich und aufs Gröbste inszeniert; es spielt bloß keine Rolle, genauso wenig wie die unbedarften Straßenschilder in Warschau. Mitten in dieser Posse dann Shakespeares Text: „Sind wir nicht Menschen, hab’ ich nicht Augen, hab’ ich nicht Hände, Organe, Gliedmaßen, Sinne... gewärmt und gekühlt von demselben Winter und Sommer? ...Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht?” – Die radikale Verbindung höchster Kunst und Schmierenkomödie, in Zeiten, da die Schmiere als blutiger Ernst dominiert, macht die Qualität des Films aus. Es ist Lubitschs persönlichster Film; (die Hälfte seiner Darsteller und Mitarbeiter waren Emigranten aus Deutschland; der Witz ist verzweifelt europäisch), sein souveränstes Werk.
Erzogen im Sozialismus, durch das Pathos des sowjetisches Kinos bei der Darstellung des «Großen Vaterländischen Krieges», empfand ich diesen Film, der in Prag niemals gezeigt werden durfte, beim ersten Mal als seltsam stümperhaft und frivol. Nach dem zweiten Mal wurde ich süchtig. Den Film habe ich bis heute nicht entschlüsselt; ich lache jedesmal, wenn ich ihn sehe, vielleicht immer mehr, und jedesmals bin ich aufgewühlt, wenn Greenberg zu seinem Shylock-Monolog anhebt. – („Da krieg ich endlich mal einen Lacher!”, sagt er.)
Am Jahresende lacht man gern, auch wenn es nichts zu lachen gibt. Dinner for One im Fernsehen kommt auf uns zu mit der Sicherheit des Kalenderwechsels. Bei diesem Vergleich plädiere ich für den schrecklichen und unfeinen Humor von To be or not to be.
„The same procedure as every year” war gestern.
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