Das Leben von Serafine Bachmann-Höfliger
Serafine kam am 10. Januar 1910 als sechstes von elf Kindern von Anna und Josef Höfliger-Portmann in Wollerau auf die Welt. In Wollerau besuchte sie auch die Schule und verbrachte auf dem elterlichen Bauernhof im Ried eine glückliche Kindheit und Jugend. Wie oft sprach sie von dieser zwar bescheidenen, jedoch zu tiefst guten und fröhlichen Zeit, die geprägt war vom Miteinander und Füreinander und vom grossen Zusammenhalt innerhalb der kinderreichen Familie, auch in den schweren Momenten, die das Leben an diese Gemeinschaft stellte. 1929 starb Vater Höfliger – erst 58-jährig. Er war ein strenger, gerechter, politisch sehr aktiver Vater gewesen und von ihm hat Serafine wohl auch ihre politische Interessiertheit und Offenheit, die sie zeitlebens bis in die letzten Monate ihres Lebens pflegte. Kurz darauf wurden auch ihre Brüder Werni und Hans mitten aus ihrem jungen Leben heraus gerissen und die Familie rückte durch diese schweren Schicksalsschläge noch näher zusammen.
Nach ihrer Schulzeit arbeitete Serafine vier Jahre als Weberin in der Textilfabrik Gessner in Richterswil und half mit ihrem Verdienst, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Darnach diente sie zwei Jahre als Hausangestellte in Zürich, wo sie neben ihrem Berufsalltag noch Kurse im Bügeln besuchen konnte, damit sie anschließend den Glätterinnenberuf bei Frau Egli in Richterswil erlernen konnte. Vierzig Jahre lang war sie darnach zuständig für das Waschen und Bügeln der Kirchenwäsche. Das Bügeln und Glätten lag ihr im Blut, sie übte diese Tätigkeit mit großer Freude und Liebe aus – und es kam wohl nicht von ungefähr, dass es vor allem auch sie war, die im alltäglichen Zusammenleben die Wogen glättete bei Konflikten und Meinungsverschiedenheiten. Streit und Uneinigkeit waren ihr zeitlebens ein Dorn im Auge und sie war sich nie zu gut, für den Frieden einzustehen und sich entsprechend einzusetzen.
Nach der Lehre hat sie bis zu ihrer Heirat zwei Jahre Bruder Josef auf dem landwirtschaftlichen Betrieb im Ried geholfen und verbrachte den Winter jeweils als Saisonangestellte in Pontresina.
Am 25. August 1936 ist Serafine mit Karl Bachmann von der Felsen den Bund für’s Leben eingegangen. Er hat mit seiner bescheidenen, fröhlichen Art ihr Herz gewonnen und ihre große, gegenseitige Liebe hielt ein ganzes, langes Leben lang. Serafine zog ins Haus der Schwiegereltern in der Felsen, wo auch noch Bruder Toni zur erweiterten Familiengemeinschaft zählte. Es war nicht immer einfach für sie dieses «Hinein-heiraten», wie es damals hieß – dieses sich einordnen, unterordnen in eine engere Welt, als sie es sich gewohnt war. Doch mit der Unterstützung von Karl, ihrer positiven Lebenseinstellung und ihrer teilzeitigen Berufstätigkeit gelang es ihr, sich ein eigenes, unabhängiges Stück Leben zu erhalten.
Der Ehe von Karl und Serafine wurden zwei Mädchen geschenkt, Rita kam 1940 auf die Welt, und neun Jahre später wurde ich als Nachzüglerin geboren. 1945 starb Serafines sehr gütige, liebevolle Mutter – so nah waren Leben und Tod.
Serafine war eine gute Finanzverwalterin – so nahm sie in verschiedenen Vereinen das Amt der Kassierin wahr – und dank ihrer umsichtigen und sparsamen, jedoch nie knauserigen Art, gelang es ihr, mit dem sehr kleinen Lohn von Karl und ihren eigenen bescheidenen Einkünften, ihr Haus auf der Felsen in ein sehr gemütliches Daheim einzurichten.
Auch Ihre Kontaktfreudigkeit pflegte sie in verschiedenen Vereinen, mit ihren Nachbarn und Freunden, und ganz besonders lag ihr das Zusammensein mit ihren Geschwistern und deren Familien zeitlebens sehr am Herzen.
Sie hatte stets ein offenes Haus, offenen Augen und Ohren, offene Hände und ein offenes Herz für die Nöte und Sorgen von ihren Mitmenschen. Selbstverständlich stellte sie ihr Familie und ihr Heim als Ferienort zur Verfügung für erholungsbedürftige Kinder nach dem 2. Weltkrieg, für Waisenkinder vom Sankt-Antonius-Haus in Solothurn, und für Neffen, Nichten und Patenkinder und später für die Großkinder und die Großfamilienkinder von Helen und Schwiegersohn Roland. Sie hegte eine tiefe Liebe zu ihren drei Großkindern, denen sie eine humorvolle, lebenslustige und liebevolle Großmutter war – stets bereit, sofort nach Trogen zu kommen, wann immer sie gerufen wurde und einzuspringen, wo sie gebraucht wurde. Da zu sein für alle, die sie brauchten, bügeln, nähen, backen, politisieren, jassen und wandern, schöne Ausfahrten, und vor allem gemütliche und frohe Stunden im Kreise der Familie waren ihr Lebenselixier.
Dreimal in ihrem Leben wagte sie den Sprung über den grossen Teich nach Amerika zu Tochter Rita – es war ihr wichtig, zu erfahren, wie und wo Rita lebte, und teilnehmen zu können an dieser ganz anderen, großen Welt.
Ein ganz besonderer Schlüssel zu ihrem Lebensgeheimnis war ihre Liebe zu ihrem Garten, zu ihren Blumen. Mit der gleichen Freude und Hingabe, wie sie ihren Garten gepflegt hat, hat sie auch ihr Leben und das Leben unserer Familie gestaltet. Sie hatte die nötige Geduld, gab genügend Raum und Platz, Stütze und Vertrauen, pflegte alles mit viel Sorgfalt und Ausdauer, und vor allem mit viel Freude und Liebe. Diese Liebe und Wertschätzung durften auch wir das ganze Leben über in den verschiedensten Situationen immer wieder spüren und erfahren. Zog der Herbst ins Land, hieß es im Garten ernten, zurückschneiden – bereit machen für den Winter, für das lange Ruhen. Auch diesen Teil integrierte sie in ihr eigenes Leben – sie freute sich über alles Gelungene, über alles, was Früchte trug, konnte aber auch Verdorrtes annehmen, konnte den Herbst ihres Lebens annehmen und sich gut vorbereiten auf ihr eigenes langes Ruhen, im Wissen und Vertrauen, dass das Leben weitergeht. Dabei half ihr auch das lebenslange tiefe Gehalten- und Getragensein im Glauben und im Gebet.
Schwer zu verkraften für Serafine waren in den letzten Jahren das stete Abschied nehmen müssen von ihren geliebten Geschwistern und deren Ehepartnern, ihren Schwiegereltern, die sie bis zu deren Tod betreute und pflegte, und ihrem Schwager Toni. Der Kreis ihr lieber, nahestehender Menschen der gleichen Generation wurde immer kleiner.
Im November 2001 stand Karl und Serafine der schwerste Schritt bevor – es hieß aus gesundheitlichen Gründen Abschied zu nehmen von ihrem geliebten Haus in der Felsen – Abschied zu nehmen vom eigenständigen, selbständigen Leben, Abschied von einer hilfsbereiten Nachbarschaft, Abschied vom Daheim. Nur zwei Monate dauerte der gemeinsame Aufenthalt im Alters- und Pflegeheim Gerbe in Einsiedeln, bis es im Januar 2002 für Serafine auch hieß, Abschied zunehmen von ihrem geliebten Karl.
Es war eine harte und schwierige Zeit für sie, doch mit erstaunlichem Lebensmut und Lebenswillen gelang es ihr, in den vergangenen fünf Jahren im Altersheim Turm-Matt ihren eigenständigen Lebensabend zu gestalten. Eine große Hilfe und Unterstützung dabei waren ihr die vielen Besuche von Verwandten, Freunden und Nachbarn, die lieben «Gschpane» beim Jassen, am Tisch und im Nähstübli, und die liebevolle Betreuung des Personals vom Altersheim.
Ganz besonders freute sie sich auch stets auf den Mittwoch, da wir zwei diesen Tag meistens in ihrer geliebten Felsen verbrachten und sie ihren Garten, ihre Blumen, ihr Häuschen und die lieben Nachbarn geniessen durfte. Ein Fest im Jahresablauf waren ihr auch die längeren Ferienaufenthalte und das Feiern von Weihnachten im Kreise unserer Familie in Trogen.
Diesen Ausflügen setzte ein Sturz am Auffahrtstag vergangenen Jahres ein jähes Ende. Der damit verbundene Oberschenkelhalsbruch hat nicht nur ihren Knochen tangiert – er brach auch ihren Lebenswillen, ihre Lebensenergie. Die wachen, lebendigen Äuglein begannen, an Glanz zu verlieren, die Beine wollten sie nicht mehr sicher tragen, das Zeitunglesen, die politischen Aktualitäten, das Interesse am Leben verlor langsam aber stetig an Bedeutung, ihr wacher Geist begann sich zur Ruhe zu setzen, – sie wandte sich nach innen, dem nächsten Leben zu. Sie sehnte sich je länger je mehr, dass ihr Karl sie doch holen komme – und am Gründonnerstag ist dieser Wunsch nach einem kurzen Spitalaufenthalt in Erfüllung gegangen – sie durfte als Letzte ihrer Höfliger-Generation heim zu all ihren Lieben, die ihr vorausgegangen sind – heim in der Hoffnung und Zuversicht, dass die tiefe Verbundenheit der Höfligerfamilie, die ihr selbst so viel Kraft gab und ihr so wichtig war, auch weiterhin bestehen bleibt.
Für uns war es ein ganz besonderes Erlebnis, sie in der Karwoche, in dieser Zeit, wo Tod und Auferstehung so nahe sind, bis zu ihrem letzten Atemzug begleiten zu dürfen.
Dir, liebe Mutter, danken wir für deine große Liebe, deine Offenheit und Großzügigkeit, deine Zufriedenheit, deine Toleranz, deinen starken Familiensinn und deine Bereitschaft, sich immer wieder neu auf’s Leben und die Mitmenschen einzulassen.
Euch allen, die ihr unserer Mutter Gutes getan habt, danken wir – von ganzem Herzen! – für all die vielen Besuche, Ausfahrten, die gemütlichen Jassrunden, die Blumengrüße und Telefonanrufe, für eure Bereitschaft, sie teilnehmen zu lassen an eurem eigenen Leben, an eueren Freuden und Sorgen und für die liebevolle Pflege und Betreuung. Mutter wird es euch vergelten mit ihrer Verbundenheit und Liebe, die wohl weit über den Tod hinaus trägt und hält und uns untereinander und miteinander verbindet.
14. April 2007 Helen.
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